Kommentar von Herrn Dr. Reba zu der Diskussion "Lipödem als Krankenkassenleistung"

Am 11.01.2019 war die Erkrankung Lipödem ein Thema in der Politik und in den Medien. Ob Populismus oder ernst gemeinte Absichten von Herrn Spahn – er möchte schnell und unbürokratisch helfen. Sehr gut - volle Kraft voraus. Endlich!

Liebe Politiker, Vertreter des Volkes, machen Sie etwas!!!

Bitte handeln Sie schnell, denn täglich werden Mädchen geboren, die das Lipödem haben könnten. 

Ca. drei Millionen Frauen brauchen unsere Hilfe. Im Durchschnitt braucht eine Patientin mindestens drei Operationen, um das Problem zu bekämpfen. Das macht insgesamt neun Millionen OPs. Als Experte für die Behandlung von Lipödemen habe ich viele dieser Frauen und ihre Situationen kennengelernt.

Das Krankheitsbild

Es hat sich ein falsches „Allgemeinwissen“ über Lipödeme unter den nicht betroffenen Personen eingeschlichen, dass diese Damen mit Sport und weniger Essen die Problematik in Griff bekommen würden. Dem ist nicht so. Millionen von Diäten wurden in Deutschland schon von den Damen durchgeführt und keine einzige Diät konnte diese Erkrankung eindämmen. 

Denn, was leider noch nicht einmal alle Ärzte wissen, ist, dass bei den Lipödem-Patientinnen die Venolen (Beginn des Venensystems) deutlich dünner und brüchiger sind. Dadurch kommt es zu einem vermehrten Verlust der Flüssigkeit und Proteine in dem Fettgewebe, es entsteht mehr Lymphe, das Fettgewebe schwillt an und es kommt zu einem vermehrten Druck im Gewebe. Diese Lymphe kann dann nicht von den (zunächst noch) gesunden Lymphbahnen abtransportiert werden und der Druck erhöht sich weiter. Bei dem Druck von außen entwickeln die Patientinnen einen Druckschmerz und durch die kranken Venolen, die dann bei Druck sehr leicht verletzt werden, bekommen die Damen leicht blaue Flecken. Die Problematik liegt also primär nicht nur im Fettgewebe, sondern bei den Venolen.

Zusätzlich zu den Schmerzen wird durch das Halbwissen anderer und unqualifizierten Aussagen wie „Essen Sie weniger und machen Sie mehr Sport!“ die Situation der Frauen verschlechtert. 

Das Lipödem entwickelt sich an den Beinen, zu 90 % bei den Betroffenen auch an den Armen, sowie am Bauch und Gesäß - diese Tatsache macht das Ganze nicht einfacher. In der Folge dieser Erkrankung haben sehr viele Damen leider eine Essstörung entwickelt. Nicht selten leiden diese Patientinnen auch unter Depressionen, ja, manch eine hatte auch schon Selbstmordgedanken, da die Schmerzen zu viel wurden.

Wie kann man helfen?

Um etwas dagegen unternehmen zu können, drängt sich eine Frage bei der Politik und den Krankenkassen auf: Was sind die voraussichtlichen Kosten?

Die Krankenhäuser werden mit einer sogenannten DRG-Pauschale (Diagnosis Related Groups) honoriert für Ihre Leistung, die Sie mit den Krankenkassen abrechnen. Speziell bei Lipödemen ist die Höhe von der DRG mit knapp 1.800 € für einen Behandlungstag berechnet, das ist eigentlich nicht kostendeckend. Bei einem stationären Aufenthalt von zwei Tagen im Krankenhaus liegt die DRG-Pauschale bei ca. 2.800-2.900 €. Auch das spiegelt nicht die tatsächlichen Kosten so einer Operation. 

Der bundesweite Durchschnitt dieser Operation liegt bei 5.000-6.000 € pro Operation, abhängig davon, ob die Operation in Vollnarkose oder in lokaler Betäubung mit Dämmerschlaf durchgeführt wird. Diese Summe spiegelt eher den Aufwand der Operation.

Woher die Diskrepanz im Preis? Praxen bekommen keine Subventionen von Bund/ Länder/ Kommunen im Vergleich zu den Krankenhäusern. In wieweit kirchliche Krankenhäuser Geld von der Kirchensteuer bekommen, muss an anderer Stelle beantwortet werden. Das heißt, eine Praxis oder Privatklinik muss für alle Belange und Kosten selbst aufkommen und dies entsprechend einkalkulieren. 

Wenn die Patientinnen in einen Vertragskrankenhaus sich den Operateur (z.B. Chefarzt) aussuchen, dann wird in Deutschland das Wahlarztsystem angewendet. Das heißt, die Patientinnen bekommen eine "Privatrechnung nach GOÄ", was in der Summe die gleichen Dimensionen aufweist wie in einer Privatpraxis oder Klinik.

Das Rechenbeispiel

Aber bleiben wir zunächst bei den 1.800 € Kosten pro Operation. Das ergibt bei einem Bedarf von 9.000.000 Operationen einen Mindestbedarf von etwa 16,2 Milliarden Euro. Ich bin sicher, dass Herr Spahn nach solchen Äußerungen schon einen Plan hat, woher er dieses Geld nehmen kann. Dieser Betrag ist aber eigentlich sehr schön gerechnet, ich schätze eher, dass mindestens 35-40 Milliarden Euro benötigt werden (wenn nicht sogar 45-50 Milliarden Euro), um diesen Damen zu helfen. 

Wenn ein gut versierter Spezialist 200 OPs pro Jahr durchführen könnte und den Damen hilft, bräuchten wir ab sofort mindestens 1.000 gut ausgebildete und versierte Lipödem-Spezialisten. Diese Kolleginnen und Kollegen bräuchten 45 Jahre, um alle drei Millionen Damen mindestens dreimal zu operieren. Und das auch nur, wenn sie sich nur auf diese Art der OP spezialisieren, ohne eine andere Operation in der Zeit durchzuführen. 

Und es ist nicht zu vergessen, dass das Pflegepersonal, das wir für diesen Mehraufwand benötigen, auch vorhanden sein muss. Die Frage, ob wir so viel Krankenhauskapazitäten hätten, würde an dieser Stelle aber zu weit führen.

Das oben ausgeführte Szenario ist leider sehr unrealistisch, da es nicht möglich ist, einfach mal so 10.000 Ärzte aus dem Ausland zu leihen. Wie mir bekannt ist, haben wir jetzt aktuell in Deutschland ca. 30 niedergelassene Ärzte, die sich auf diese Operation spezialisiert haben und hauptberuflich durchführen können. Wenn wir die Kollegen, die diese Operation in Krankenhäusern durchführen, dazurechnen, sind es nach einer vorsichtigen Schätzung insgesamt 100 Ärzte, die diese Operation exzellent beherrschen. Da ich ein Optimist bin, hoffe ich, dass es 200 sind. Die wenigen Ärzte, die auch komplette Arme von Schulter bis Handgelenk regelmäßig absaugen, belaufen sich gerade einmal auf 12-15. 

Mit dem richtigen Plan könnte man sicherlich in angemessener Zeit in den Kliniken für Plastische und Ästhetische Chirurgie die Zahl der versierten Ärzte auf 500 steigern. Denn die Fettabsaugung (Liposuktion) ist eine Domäne der Plastischen Chirurgie.

Der Vollständigkeit halber muss ich hier erwähnen, dass Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie NICHTgleich zu setzten ist mit einem Schönheitschirurgen: Denn zur Ausbildung eines Facharztes für Plastische und Ästhetische Chirurgie gehört die Fettabsaugung (Liposuktion) zum "Seepferdchen". Das heißt, die Fettabsaugung ist ein fester Bestandteil der Facharztausbildung eines Facharztes für Plastische und Ästhetische Chirurgie.

Die Liposuktion gehört für den Chirurgen zu den körperlich anstrengenderen Operationen, die die Chirurgie hergibt, zumindest wenn man 2-3 solcher Operationen als Arzt an einem Tag durchführt und das mehrere Tage hintereinander. Im Vergleich zu einer ästhetischen Fettabsaugung ist das Lipödem-Fettgewebe um einiges fester und in einer höheren Menge vorhanden.

Die Forschung muss unterstützt werden

Da sich endlich ein Politiker ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, hat Herr Spahn sicherlich schon weitsichtig auch 1-2 Milliarden Forschungsgelder reserviert, denn wir müssen die Krankheit an der Wurzel des Übels anpacken. Ich bin mir sicher, dass der Politiker vorher auch schon unsere renommierten Universitäten kontaktiert hat, diese würden auf Hochtouren die Grundlagenforschung noch intensiver betreiben. Denn die Zeit drängt. Wie sich Herr Spahn (hoffentlich) erkundigt hat, ist bei der Lipödem-Erkrankung eine familiäre Häufung festzustellen, heißt das wir in jeder Generation dann diese Summe von Milliarden von Euro von den Kassen oder sonstigen Töpfen benötigen. 

Daher bitte ich, die Forschung ebenfalls maximal zu unterstützen, damit wir Ärzte und vor allem die Patientinnen wissen: Wer bekommt diese Erkrankung? Warum bekommt er sie? Was sind die Entstehungsfaktoren? Kann man den Risikofaktoren entgegenwirken? Wie kann man diese Erkrankung eindämmen oder noch besser vielleicht irgendwann heilen ohne Operation. 

Man muss sagen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss sehr viel Sinn macht, neue Methoden prüfen zu lassen. Es schützt die Menschen in Deutschland vor Scharlatanerie. Es werden nur Behandlungsmethoden offiziell zugelassen bzw. von Krankenkassen getragen, die der evidenzbasierten Medizin entsprechen. Heißt, Methoden, die in streng wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, dass diese Behandlungsmethode auch den Menschen hilft. 

Dass die Fettabsaugung den Lipödem Patientinnen hilft, sehe ich und meine Kollegen seit Jahren, jeden Tag.

Herr Spahn, ich hoffe, Sie haben das alles im Blick als verantwortlicher Politiker und gehen der Sache ERNSTHAFT nach, andernfalls war es vielleicht doch eine nicht zu Ende gedachte Populismus-Ente, die bei Millionen von Frauen eine Freude, Hoffnung und Lichtblick ausgelöst hat. 

ICH BITTE SIE unterlassen Sie leere Versprechungen, das ist moralisch und ethisch absolut nicht vertretbar. Es sind Patientinnen die Jahre lang, manche Jahrzehnte, unter Schmerzen am Körper und in der Seele und unter Diskrimination von Ihrer Umwelt leiden und ja auch von der eigenen Familie und einigen Ärzten diskriminiert werden. 

Das Thema ist mehr als ernst und existenziell für die betroffenen Damen und daher essentiell notwendig, dass sich die Politik, G-BA, Krankenkassen und Ärzte mit dem Thema auseinandersetzten. 

Daher wiederhole ich meinen Aufruf: Liebe Politiker, Vertreter des Volkes, machen Sie etwas!!! 

Dr. med. Slobodan Reba, Lipödem-Experte aus Hannover, Vater von drei Töchtern.

Plastische und Ästhetische Chirurgie

Praxis im GeorgsPalast
Georgstraße 36
30159 Hannover

Weitere Infos zu Dr. Reba und das Krankheitsbild Lipödem im Internet: www.dr-reba.de/Lipoedem

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